Schule vs Realität

Das System Schule ist ein starres System. Veränderungen sind oft nur schwer zu etablieren und brauchen lang bis sie letztlich umgesetzt werden. So verhält es sich zurzeit auch mit der Digitalisierung.

Die Gründe für den eher schwerfälligen Einzug digitaler Medien in die deutschen Klassenzimmer sind vielfältig. Allen voran ist natürlich zunächst die spärliche technische Infrastruktur, die sich Lehrkräften und Schülern in vielen Schulen bietet. Es wäre aber zu einfach allein dies als Hemmnis für digital gestützte Unterrichtsprojekte zu sehen. Viel stärker wiegt in vielen Fällen die Blockade im Kopf von Lehrern und Eltern. Schule wird zum Schonraum deklariert. Es soll der vermutlich einzige Ort sein, an dem digitale Medien verbannt und ausgeschlossen werden – natürlich nur zum Schutze der Kinder und Jugendlichen.

 

Eigentlich ist der Gedanke, der hinter diesem Ansatz steckt auch gar nicht verkehrt. Schonräume sind wichtig. Problematisch ist meiner Meinung nach jedoch, dass sich dieses Gedankengerüst auf einem fundamentalen Irrtum stützt: und zwar genau jenem Irrglaube, dass sich die digitale Welt von der „analogen“ trennen ließe.

 

Digitale Parallelwelt?

 

Lehrkräfte und Eltern, die diesen Ansatz vehement unterstützen oder sogar einfordern, gehen davon aus, dass es zwei trennbare Einheiten gäbe: auf der einen Seite steht die echte Welt und auf der anderen Seite gibt es eine „unechte“ digitale Scheinwelt, in die Kinder und Jugendlichen (und Erwachsene) regelmäßig flüchten. Eine Welt, die abgekoppelt ist von der echten, realen Welt.

Genau hier liegt jedoch der Fehler. Möglicherweise gab es einen solchen Zustand in der Vergangenheit. Eine sporadische Auszeit vom Ernst des Lebens, ein Abschalten von Pflichten, den Kopf ausschalten und gedankenverloren der digitalen Spielwelt frönen oder ziellos durchs Internet surfen.

 

Dieses Bild ist aber Vergangenheit. Damit meine ich weder das ziellose Surfen, noch das virtuelle Zocken. Beides existiert auch heute noch. Mittlerweile sind jedoch so viele weitere Nutzungsmöglichkeiten hinzugekommen und spätestens seit dem Einzug des Smartphones in so ziemlich jede Hosen- oder Handtasche, können wir nicht

mehr von einer „gelegentlichen“ oder „sporadischen“ Nutzung sprechen. Vielmehr ist die digitale Welt allgegenwärtig – und ich gehe noch einen Schritt weiter. Sie ist nicht nur ständig verfügbar, sondern sie ist fester Bestandteil unserer Alltagsrealität geworden. Es gibt keine trennbare „digitale Welt“, die geisterhaft neben der „echten Welt“ besteht.

Die heute Realität ist sowohl analog, als auch digital. Diese Behauptung lässt sich mit aktuellen Zahlen untermauern – und zwar durch Ergebnisse unterschiedlicher Studien. Ich möchte mich im Folgenden auf eine Studie konzentrieren, und zwar eine, die mir persönlich als verlässliche und aussagekräftige Quelle erscheint.
Ich spreche von der JIM-Studie, von der hoffentlich jede Lehrkraft bereits gehört hat. JIM steht für „Jugend, Information, (Multi-)Media“ und es handelt sich dabei um eine repräsentative Studie, die seit 1998 im jährlichen Rhythmus durchgeführt wird. Befragt werden jeweils 1.000 Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren zu ihrem Umgang mit Medien und Informationen.

 

Alltagsrealität in Zahlen

Betrachtet man nun die Ergebnisse der JIM-Studie 2017, erfährt man zunächst, dass in nahezu jedem deutschen Haushalt ein Smartphone (99%), ein Computer (98%) sowie ein Internetzugang (98%) vorhanden sind. Schaut man sich die Jugendlichen selbst an, ist auch hier der Abdeckungsgrad an Smartphones mit 97% enorm hoch. Zudem geben 97% der Jugendlichen an das Internet sowie ihr Smartphone täglich oder zumindest mehrmals die Woche zu nutzen.

Auch die tägliche Nutzungsdauer wurde in der Studie erfasst – sie beträgt im Durchschnitt etwas mehr als 3,5 Stunden (221 Minuten). Wie zu erwarten ist, fällt die Nutzungsdauer bei den jüngeren Jugendlichen mit 142 Minuten deutlich geringer aus – die älteren Schüler nutzen das Internet im Schnitt 252 Minuten und somit mehr als 4 Stunden täglich. Ergänzen möchte ich noch eine Angabe für die Nutzungsdauer von Erwachsenen (Alter 30-49) aus der ARD/ZDF-Onlinestudie 2017: auch diese Gruppe ist mit 183 täglich im Schnitt mehr als 3 Stunden online.

 

Diese Zahlen zeigen, dass das Internet einen großen zeitlichen Rahmen in unserem Leben einnimmt. Nun könnte der ein oder andere dies als Bestätigung sehen, dass es richtig wäre Smartphones (und vielleicht die Internetnutzung insgesamt?) gänzlich aus der Schule zu verbannen.

Um gleich den nächsten Irrtum zu vermeiden, werde ich noch mit weiteren Zahlen um mich werfen. Denn obwohl das Internet im privaten (und natürlich auch im beruflichen) Rahmen so eine große Bedeutung einnimmt, spielt es in Schule momentan tatsächlich keine Rolle. Auch dies wurde in der JIM-Studie dokumentiert: Im Abschnitt „Nutzung digitaler Medien im Unterricht 2017“ zeigt sich, dass nur 31% täglich ein Whiteboard nutzen. Dies ist in der Gruppe der digitalen Unterrichtswerkzeuge Platz 1. 22% nutzen täglich den PC und 13% das Smartphone für unterrichtliche Zwecke. Viel erschreckender ist die Kehrseite dieser Grafik – nämlich wie viele Schüler diese Medien niemals im Unterricht nutzen: denn mehr als die Hälfte aller befragten Jugendlichen (53%) hat noch nie das eigene Smartphone für unterrichtliche Zwecke in Schule eingesetzt. 63% haben noch nie einen Laptop in Schule genutzt und sogar 21 Prozent noch nie einen PC.

 

Dies sind für mich alarmierende Zahlen. Ich bringe es hier noch einmal auf den Punkt:
97% aller Jugendlichen ab 12 Jahren besitzen ein Smartphone, 97% geben an das Smartphone und das Internet täglich oder mehrmals die Woche zu nutzen, aber 53% haben es noch nie sinnvoll in Schule eingesetzt.

 

Man könnte dieses Spiel noch weiterführen und sich genauer anschauen wofür die Jugendlichen ihr Smartphone im privaten Bereich nutzen – aber hier sind keine überraschenden Ergebnisse festzustellen. Kommunikation und Unterhaltung haben den höchsten Stellenwert, während Informationssuche den geringsten einnimmt. Auch die Art der Informationssuche birgt vermutlich keine großen Überraschungen: Google und YouTube sind mit großem Abstand die beliebtesten Wege an Informationen zu kommen.

 

Schulische Parallelwelt?

Ist dies wirklich ein Zustand, den Lehrkräfte und Eltern wollen? Sollten wir – anstatt digitale Medien und Werkzeuge aus Schulen auszusperren – nicht dringend anfangen sie zu nutzen? Damit plädiere ich nicht für eine bedingungslose Smartphone-Freigabe in den Pausen. Ich meine damit die angeleitete Nutzung im Unterricht: Regelmäßig, zielgerichtet, reflektiert, verantwortungsvoll!

Zeigen wir Jugendlichen alternative Möglichkeiten das Internet gewinnbringend und sinnvoll zu nutzen. Kommunikation und Unterhaltung sind wichtig und auch nicht zu verteufeln, aber die digitalen Allzweckwerkzeuge, die jeder mit sich herumträgt bieten so viel mehr!

Es gibt keine abgekoppelte digitale Parallelwelt. Unser Leben ist längst durchsetzt von Online-Inhalten. Smartphones, Tablets, Laptops begleiten uns nicht nur beruflich, sondern auch privat – zum Teil mehr als drei Stunden am Tag.

 

Wenn wir nicht aufpassen, dann sind wir gerade selbst dabei eine „unechte“ Parallelwelt zu kreieren: eine analoge Schule, die mit der Alltagsrealität von Jugendlichen (und Erwachsenen) nicht mehr viel gemein hat.

 

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